Textmaker Helmuth Santler

Der Textmaker – und die Botschaft kommt an

Anna und der Schmerz in unseren Köpfen

Helnwein-Kindskopf-(Anna),-2012_kl„Die Essenz der Kunst ist etwas Metaphysisches und hat nichts mit Stil, Technik oder sogar Inhalt zu tun.“ Gottfried Helnwein, der Schocker, der Bilder gewordene Aufschrei, der bluttriefende Schmerz in Öl, der brutale Hyperrealist: Bescheiden, fast schüchtern wirkt es, wenn er sich öffentlich eingesteht, dem eigentlichen Wesen seines Tuns noch immer nicht wirklich auf den Grund gekommen zu sein. Natürlich hat er sich mit seinen Bilder aufgebäumt gegen die graue Erstarrung, die Vertuschung, die Bevormundung; hat die Finger auf die Wunden der Gesellschaft gelegt, nicht ohne sie zuvor kräftig in Salz getaucht zu haben; hat den Verlust der (kindlichen) Unschuld angeprangert, das Erlöschen ihres unverstellten Blicks; hat das Grauen gezeigt und übersteigert. Dabei ging und geht es ihm aber nicht einfach darum, sein Publikum vor den Kopf zu stoßen: Erreichen will er es, seine Botschaft zu ihm durchdringen lassen. Am geeignetsten dafür erwies sich sein weltberühmt gewordener, plakativ-hyperrealistischer Stil, weshalb er sich dafür entschied: „Ich bin kein Fan von Realismus. Das ist einfach für meine Zwecke die richtige Art, um die Aussage zu transportieren.“

Ob es nun an der Botschaft oder doch eher der Verpackung lag: Helnwein wurde zu einem der bedeutendsten österreichischen Künstler der Gegenwart, der nun, nach 40 (!) Jahren, wieder in der Albertina ausgestellt wird. Die umfassende Werkschau mit über 200 Exponaten reicht von seinem ersten Aquarell Osterwetter (1969) bis zu Arbeiten aus diesem Jahr. Und auch wenn er immer wieder zu seinen Themen – Kindheit, Nationalsozialismus, Schmerz und Gewalt – zurückkehrt und sich in Stil und Technik treu bleibt, wird in der Zusammenstellung auch ein großer Wandel deutlich: „Helnweins Bilder werden im Gegensatz zur immer plakativeren Welt immer stiller.“ (Klaus Albrecht Schröder)

Wann und warum „funktioniert“ Kunst? Helnweins lebensverändernde Begegnung mit Malerei ereignete sich beim Anblick zweier Rembrandt-Gemälde: Die Nachtwache und vor allem Porträt der Vorsteher der Tuchmacherzunft. „Sechs Herren in Schwarz versammeln sich und schauen fad; eine Auftragsarbeit, die auch irgendein anderer hätte machen können. Ich hatte keinerlei Bezug zu diesen Personen oder ihrem Tun. Und stand erschüttert davor.“

Da ist das frühe Der Eingriff: Einem festgeschnallten Mädchen steckt ein Abflussrohr im Mund – und mir ein Bildstachel im Gehirn. Sentimental sehe ich James Dean beim Durchschreiten des Boulevard of Broken Dreams zu: Ein Poster dieses Bilds zierte einst meine Studentenbude. Blackout, natürlich, das vielleicht bekannteste Helnwein-Bild überhaupt: Sein Selbstporträt mit Kopfverband, Gabeln in den Augen, den Mund zum ultimativen Aufschrei aufgerissen, brachte es auf die Titelseite des Zeit-Magazins und aufs Cover der gleichnamigen Scorpions-LP. Überall Schmerzen, Verstümmelung, Krankheit, Blut und Tod. Nur die angelegentliche, durchs Bild spazierende Ente sorgt mitunter für ein wenig Comic Relief: Die Begegnung mit Micky Maus und Donald Duck als Fünfjähriger war für den kleinen Gottfried ein bunter, hoffnungsfroher Lichtstrahl in einer grauen, tristen Welt gewesen.

Und dann: Anna. Nur ihr Kindskopf ist zu sehen, riesig, übermenschlich. Er liegt auf der Seite und sie schaut mir mit dem einen sichtbaren Auge tief auf den Grund meiner Seele. „Warum?“, scheint sie mich zu fragen. „Warum das alles? Begreift ihr nicht? Alles ist da. Alles ist Sein. Ja, auch du hast mitgemacht. Oder nichts gemacht. Oder nichts als gemacht.“

In diesem Bild ist kein Schmerz – und aller Schmerz der Welt. Er entsteht direkt in meinem Kopf: die Essenz der Kunst.

Er hat es also doch getan.

Retrospektive Gottfried Helnwein: 25. Mai 2013 bis 13. Oktober 2013 in der Albertina, täglich ab 10 Uhr

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Autor: Helmuth Santler

24. Mai 2013 um 18:08

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