Textmaker Helmuth Santler

Der Textmaker – und die Botschaft kommt an

Die absolut ehrlichen und völlig schamlosen Bekenntnisse eines professionellen Reiseführer-Autors

… sind keine „brüllkomische Abrechnung“, wie der Umschlagtext verspricht, aber auch die Publikumsresonanz trifft es nicht: dreimal 1* auf amazon mit Adjektiven von „belanglos“ bis „grottenschlecht“ haben sich die autobiografischen Anekdoten des frischgebackenen Lonely-Planet-Autors Thomas Kohnstamm nicht verdient.

Das Backpacker-Paperback wirft nämlich einen ausgesprochen (selbst-)ironischen Blick auf den vermeintlichen Traumjob Reisebuchautor. Zuallererst krankt es an den Erwartungen: Die Reiseführergläubigen (speziell Lonely Planet hatte einst absoluten Kultstatus) erwarten sich nichts weniger, als über den ausgerollten roten Teppich zu sämtlichen Geheimtipps der Destination geführt zu werden (auch wenn es auf der Hand liegt, dass nichts, was einmal in einem Reiseführer steht, noch irgendetwas Geheimnisvolles an sich hat). Der Verlag erwartet sich topaktuelles Datenmaterial in absurd kurzer Zeit. Der Autor will, ganz im (vorgeblichen) Geiste von Lonely Planet, unabhängige, unbeeinflusste und vollständige Informationen zusammentragen und ist motiviert bis in die Haarspitzen.

Vom Naivling zum Tourismus-PR-Schreiberling

Nachdem Kohnstamm allerdings klar wird, dass es schlicht unmöglich ist, den Spagat aus Anspruch, Recherchezeit und Budget zu absolvieren, verkauft er sich wie alle anderen: Das lokale Gastronomie- und Hotelleriegewerbe empfängt ihn mit offenen Armen, hält ihn aus, beschafft ihm alle Infos en gros. Die letzte Freiheit, die ihm bleibt, ist, über das ganz wenige, das er neu entdeckt, nicht zu schreiben – wissend und sehend, was ein paar Zeilen in einem Reiseführer binnen weniger Jahre aus ganzen Landstrichen machen können.

Die Entwicklung vom enthusiastischen Naivling zum ganz normal korrupten Tourismus-PR-Schreiberling ist in einen Reisebericht verpackt, der nun wirklich stilistisch nicht umwerfend ist. Insbesondere schafft es Kohnstamm nur selten, seine Pointen richtig zu setzen. (Die Originalausgabe „Do Travel Writers Go to Hell?“ hat übrigens eine amazon-Wertung von 4,2 aus fast 100 Kundenrezensionen. Das legt den Verdacht nahe, dass hier bei der Übersetzung fürchterlich gemurkst wurde.) Die insgesamt leichte Lektüre bleibt immerhin stets leidlich kurzweilig, manchen mag das eine oder andere eher unappetitliche Detail, das eine oder andere garantiert romantikfrei geschilderte, bedeutungslose Sexabenteuer zu viel sein. Bei mir konnte Kohnstamm einige Sympathiepunkte verbuchen, weil ich seinen Text letztendlich als ein Plädoyer für das individuelle Reisen verstanden habe, mit Reiseführern in ihrer ureigenen Funktion: als praktische Helferlein mit einem Mindestmaß an eigener Meinung. Wer sie als Führer-wir-folgen-dir-Motor für Rollband-Reisen missversteht oder der Mär von der „unabhängigen, unbeeinflussten und vollständigen“ Information Glauben schenkt, ist einfach selbst schuld.

Thomas Kohnstamm: Die absolut ehrlichen und völlig schamlosen Bekenntnisse eines professionellen Reiseführer-Autors. Piper 2011. Tb., 304 S.

 

Autor: Helmuth Santler

31. Dez 2013 um 14:38

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