Textmaker Helmuth Santler

Der Textmaker – und die Botschaft kommt an

Lesen Sie genau und mischen Sie sich ein!

Jón Gnarr: Hören Sie gut zu und wiederholen Sie!!!„9.) Aufrichtigkeit. Wir behandeln andere immer ehrlich und aufrichtig und erwarten, dasselbe zurückzubekommen. Wir lügen nie – außer, wir sehen uns dazu gezwungen.“

Wie könnte derart entwaffnender Ehrlichkeit widerstanden werden? Eben. Folgerichtig trug auch das öffentlich gemachte Selbstverständnis der Besten Partei, dem obiges Zitat entnommen ist, zur lustigsten, unblutigsten und für das Establishment gefährlichsten Revolution aller Zeiten bei. Weshalb die weltverändernden Schrägtaten von Jón Gnarr, isländischer Stand-up-Comedian, überzeugter Anarchist und Bürgermeister von Reykjavík (2010–2014), auch so gut wie ausnahmslos mit der Höchststrafe aller medialen Zeiten und Welten belegt werden: Totschweigen.

Logo der Besten ParteiJón Gnarr hatte einen holprigen Start: verhaltensauffällig, Sonderschüler, Klassenclown. Letzteres entpuppte sich als seine wahre Berufung. 2008, als mittlerweile bekanntester Komiker Islands, entwickelte Jón für sein Kabarettprogramm die Figur eines schmierigen Provinzpolitikers. Legte in Form der Besti Flokurinn, der Besten Partei, eines drauf – und in Form seiner Kandidatur für die Bürgermeisterwahl gleich noch eines.

Planlos? Endlich gibt’s mal einer zu!

Womit erst einmal niemand gerechnet hatte: Mit seiner Politik(er) verarschenden Parodie eines Wahlkampfes sprach er einige – etliche – immer mehr Leute an. Zuletzt so viele, dass das Politestablishment ihn als ernsthaften Konkurrenten zu bekämpfen begann. Was er auch war: Gnarr hatte beschlossen, von der bequemen Position des Spötters auf den heißen Stuhl dessen zu wechseln, der sich wirklich einmischt. Er gewann in dem Moment, in dem die anderen in bloßzustellen versuchten und er zugeben musste, im Grunde von wenig bis nichts eine Ahnung zu haben – endlich einmal jemand, der in aller Öffentlichkeit die ungeschminkte Wahrheit beichtet: Wir lavieren alle großteils völlig planlos durchs Weltall.

Höchststrafe für Politpromis: Gnarr macht den Job – richtig gut

Als gewähltes Stadtoberhaupt machte Gnarr dann alles noch viel schlimmer: Er überlegte sich zu allen anstehenden Fragen die Lösung, die am richtigsten erschien, frei von Hintergedanken über Machterhalt, Wiederwahl, gut bezahlte Gefälligkeiten … und hatte auch noch Spaß dabei. Machte seine Sache so gut, dass 2014 die Beste Partei im Amt bestätigt wurde – freilich ohne Gnarr an der Spitze, der fand, dass es höchste Zeit war, den Absprung zu machen, bevor dem Establishment von hintenrum doch noch die Einverleibung gelingt.

Jón Gnarr hat die Welt verändert. Hat der Berufspolitiker-Kaste, den rückgratlosen Parteischleimern, buckeltretenden Sesselklebern, machtgeilen Wendehälsen den Spiegel vorgehalten: Jeder kann euren Job besser machen als ihr. Jeder, der einfach den Job macht: für das Gemeinwesen förderliche Entscheidungen zu treffen, ohne Rücksicht auf Eigennutz, Partikularinteressen, Lobbybefindlichkeiten …

Mit großer Offenheit, vollkommen unprätentiös, schmunzelig bis brüllkomisch, schildert Jón Gnarr in seinem Buch, was es braucht, um wirklich etwas zu bewegen: Spaß haben, ein Mitmensch sein und sich einmischen. Die unterhaltsamste, geistbewegendste Pflichtlektüre des Jahres.

Jón Gnarr: Hören Sie zu und wiederholen Sie!!! Wie ich einmal Bürgermeister wurde und die Welt veränderte. Geb., 175 S., Tropen-Verlag, Stuttgart 2014

Gebundene Ausgabe € 15,40 (A) | Kindle-Edition  € 11,99

Autor: Helmuth Santler

23. Jan 2015 um 15:03

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