Textmaker Helmuth Santler

Der Textmaker – und die Botschaft kommt an

Das Comic-Match

Stieg Larssons Millennium-Trilogie nun auch als Graphic Novels: US- und Euro-Adaption im Vergleich

verblendung1_USAlle heißen Verblendung und könnten doch unterschiedlicher nicht sein: Nicht weniger als sieben Werke sind unter diesem Titel erhältlich. Nach dem Roman, der europäischen Originalverfilmung und dem US-Remake erscheint Teil 1 von Stieg Larssons Weltbestseller nun auch in Gestalt zweier zweibändiger Graphic Novels, einer kleinformatigen US-Version (26 × 17) und einer europäischen Ausgabe im klassischen Album-Format (32 × 23). Ein idealer Anlass für einen Vergleichskampf, einmal nicht ausgetragen auf der Kinoleinwand: USA vs. Europe – das Comic-Match.

Runde 1, das Cover, geht recht klar an die USA: Zweimal Lisbeth Salander in aller Düsterkeit, mit Blicken tötend, anziehend und abstoßend zugleich. Besonders das Cover von EU-Band 2 kann in seiner befremdlichen Beliebigkeit da nicht mithalten. Der Spanier José Homs hat seinen Figuren rundliche Gesichter gegeben und bricht damit die nach den Verfilmungen verfestigte optische Erwartungshaltung. Mit nichts als dem Cover vor Augen hat der Leser keine Chance, sich in Runde 2 von der Stimmigkeit dieser Darstellung zu überzeugen: Homs Charaktere leben, haben Ausdruck und Tiefgang gerade wegen ihrer Eigenheit. Salander rotzt Verachtung, Blomkvist changiert zwischen Mitspielen und Kritisch-Sein. Ihn kann man noch treffen.

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US-Produktion vs. Euro-Handwerkskunst

In der US-Ausgabe hat man hingegen den Eindruck, dass man sich nur auf der Titelseite jede erdenkliche Mühe gemacht hat, während ansonsten auf termingetreue Erledigung hingearbeitet wurde. Manche Panels hätten einer kritischen Prüfung schlichtweg nicht standhalten dürfen, so puppenhaft flach sind die Gesichter darauf ausgeführt. Zudem ist die Optik zwangsläufig inkonsistent, wurden doch auf der anderen Seite des Atlantiks gleich zwei Zeichner mit der aufwendigen Aufgabe betraut.

1:1 also – die Entscheidung wird zum Zweikampf der Szenaristen: Sylvain Runberg, der frankobelgische Comicautor, gegen Denise Mina, die schottische Schriftstellerin im zeitweiligen Dienst des US-Giganten DC Comics (Imprint Vertigo).

Runberg zieht ohne Zögern in die Story und verdichtet sie virtuos. Er versteht es, die Gesetze des Mediums zu nutzen: Der komplexe Plot der Millennium-Trilogie baut auf einer Vielzahl von Fakten auf, die oft als Original-Dokumente präsentiert werden – ein Foto, eine Textstelle, ein Screenshot. Im nächsten Moment aber schlägt das Geschehen in Szenen voll (gewalttätiger) Aktivität um. Das Comic ist das einzige Medium, das Fakten wie ein (illustriertes) Buch und Action wie ein Film darzustellen vermag – und dabei dem Publikum überlässt, in welcher Geschwindigkeit die Inhalte aufgenommen werden.

Genau das schafft der Eurocomic; Mina hingegen serviert erst einmal Tee, verzettelt sich in Details, baut kaum Spannung auf, zeigt wenig und redet viel. Selbst die im ersten Teil zentrale Vergewaltigungsszene kommt nicht ohne einen Monolog von Lisbeths Vormund aus, der der Grausamkeit der Tat mit dem Zynismus des Wortes die Dornenkrone aufsetzen soll und ihr einfach nur die Glaubwürdigkeit nimmt.

Fazit: Klarer Sieg der intensiven, persönlichen Zusammenarbeit über die Fordsche Arbeitsteilung, des Autorencomics über die CI-konforme Konzernproduktion.

verblendung2_USMina, Manco, Mutti, Larsson: „Verblendung: Band 1“. € 17,40, 144 S., Panini, Stuttgart 2013 | „Verblendung: Band 2“ | „Verdammnis: Bd. 1, 2014 | „Verdammnis: Bd. 2“, 2015

verblendung2_EURunberg, Homs, Larsson: „Verblendung“. € 20,40, 128 S., Splitter, Bielefeld 2013 | In 2 Bänden je 15,20, 64 S., Splitter, Bielefeld 2013: Band 1 | Band 2

Runberg, Homs, Larsson: Millennium-Trilogie, Buch 2. „Verdammnis“, 2015 | In zwei Bänden: „Verdammnis“, Band 3 | „Verdammnis“, Band 4

Autor: Helmuth Santler

25. Aug 2015 um 13:30

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