Textmaker Helmuth Santler

Der Textmaker – und die Botschaft kommt an

Das asturische Prinzip

Die frankokantabrische Höhlenkunst ist nur an ganz wenigen Orten wirklich, also in echt, zu erleben, und die sind nicht immer leicht zu finden. Falls es nicht klappt, hält Asturien reichlich Trost bereit: hunderte kaum besuchte Strände und eine sagenhaft gute Küche.
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Playa la Ballota, Asturien: mit vielleicht 100 Personen für hiesige Verhältnisse stark besucht.

„Sie haben Ihr Ziel erreicht.“ Die Behauptung des Navis kann so nicht stimmen: Zwar werden wir nicht angehalten, mitten auf der Autobahn stehen zu bleiben wie am Anfang der Reise nördlich von Bilbao, aber die gesuchte Höhle La Loja, per exakten GPS-Koordinaten als Ziel eingegeben, ist nicht zu sehen.

Nach einem gewagten Wendemanöver auf der als Schnellstraße ausgebauten „Carretera Nacional“ und einem Hupkonzerte auslösenden Haltemanöver im rücksichtslos von der N-621 durchschnittenen Weiler El Mazo, wo sich zu unserem Glück Menschen an der Straße aufhalten, erfahren wir den Weg: Es geht direkt von der Hauptverkehrsader auf ein einspuriges Sträßchen, dessen Belag Assoziationen an Kriegsgebiete erweckt, und über drei Abzweigungen zur „Aula Didáctica“; die letzte ist mit einem winzigkleinen Holzschild gekennzeichnet, auf dem mit der Rückseite zur Fahrtrichtung schlicht „Cueva“ (Höhle) zu lesen ist. Von dort ist das Ziel allerdings bereits gut zu sehen.
Drei Autos parken vor dem kleinen Gebäude: Sicherlich die Besucher der 10.15-Uhr-Führung? Ein Irrtum, wie immer mehr zur Gewissheit wird. Kein Mensch nähert sich – auch kein Führer, der unserer Reservierung um 11.15 nachzukommen gedenkt.

Wir sind die Einzigen, die La Loja besichtigen.
Miguel proudly presents: ein versteinerter Rentier-Kiefer im steinzeitlichen XXX-Format

Miguel proudly presents: ein versteinerter Rentier-Kiefer im steinzeitlichen XXX-Format

Nachdem bis halb zwölf niemand aufkreuzt, suchen und finden wir auf einem Infoplakat Telefonnummern, die wir systematisch anwählen. Es stellt sich heraus, dass die vor Wochen erfolgte Reservierung die eine Sache ist, das Abholen und Bezahlen der Tickets aber im nahe gelegenen Oficina de Turismo in Panes erfolgen hätte sollen. Da ich glaubwürdig versichern kann, dass mir das niemand gesagt hat, erklärt sich der Mann am anderen Ende der Leitung bereit, die Führung dennoch zu machen und die Tickets mitzubringen: Wir sind immerhin zu zweit – und die Einzigen, die an diesem Tag La Loja besichtigen möchten.

Die Neandertaler waren echte Dickschädel.

Die Neandertaler waren echte Dickschädel.

Wenig später parkt sich ein hellgrüner Kleinwagen schwungvoll ein und heraus springt ein klein gewachsener, mittelalter Mann in sommerlicher Touristenkleidung: T-Shirt, kurze Hose, Sandalen. Nachdem die Marlboro glüht, begrüßt er uns mit Handschlag: „Encantado.“ Miguel Fueyo hat Archäologie studiert und steckt voller jungenhafter Begeisterung für „seine“ Höhle und die ganze paläolithische Höhlenkunst. In den folgenden zweieinhalb Stunden dürfen wir Schädeldecken eines Mannes aus dem Mittelalter und eines Neandertalers in die Hand nehmen und vergleichen, was dem Ausdruck „Dickschädel“ eine völlig neue Dimension verleiht.

Prähistorie in Händen
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Ein fast 40.000 Jahre altes Steinmesser zeugt von der Kunstfertigkeit der Neandertaler.

Enthusiastisch drückt er uns Werkzeug in die Hände, von dem besonders ein perfekt geformtes Steinmesser beeindruckt: Ergonomie ist eine Erfindung der Neandertaler und seit mindestens 37.000 Jahren ein alter Hut. Zwischen unzähligen weiteren Zigaretten, mit denen es ihm beinahe gelingt, das „Rauchen verboten“-Schild in der Aula Didáctica im Dunst verschwinden zu lassen, erfahren wir mehr oder minder themenbezogenen Info-Gossip: Die Beschilderung von der Hauptstraße sei deshalb nicht vorhanden, weil es sich um eine kantabrische Straße auf asturischem Gebiet handle und das Aufstellen eines Hinweises bei Strafe verboten. Anders als in Österreich bekommt man in Nordspanien ja mit der Zeit das Gefühl, von einer autonomen Region zur anderen tatsächlich ein neues Land zu betreten: Touristische Karten zeigen rund um das präsentierte Gebiet grundsätzlich nur weiße Flächen. Als ich noch weniger mit dieser provinzchauvinistischen Haltung vertraut war, machte ich einmal den Fehler, in einer kantabrischen Touristeninfo nach einer asturischen Höhle zu fragen. Nur mein Kredit als ahnungsloser Ausländer hat verhindert, dass ich spontan des Lokals verwiesen wurde – ich erntete lediglich zornige Blicke und wütendes Dementieren, dass es eine solche Höhle überhaupt gebe.

Von gewaltigen Stieren …

Miguel plaudert munter weiter, erklärt, die weltberühmte französische Chauvet-Höhle stehe unter Fälschungsverdacht (was unbegründet ist), setzt uns seine Abneigung gegen Engländer auseinander, möchte die Neandertaler als durchaus kunstverständige Personen aufgewertet wissen, berichtet von den Versuchen, den monströsen Auerochsen aus den drei existierenden, mit der Urform aller Kühe am nächsten verwandten Rinderrassen rückzuzüchten: Eine Schulterhöhe von zwei Metern habe das Ur gehabt, „una tonelada y media de toro“, eineinhalb Tonnen Stier. Die an Höhlenwänden häufig gemalt und/oder geritzt anzutreffenden, kleinen gedrungenen Pferde brauchen hingegen nicht im Wege des gentechnischen Reverse Engineerings wiedererfunden zu werden: Man sieht sie allenthalben auf den asturischen Weiden.

… und attraktiven Touristinnen
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Das prächtige Pferd in der Cueva la Loja ist fototechnisch entwendet von asturnatura.com. Fotografieren ist selbstverständlich strengstens untersagt. Um diese Kunstwerke würdigen zu können, gibt es aber ohnedies nur einen Weg: hinfahren und in echt anschauen.

Señor Fueyo würzt seinen ausschweifenden Vortrag mit Kraftausdrücken, allen voran „coño“, das spanische Vulgärwort für das weibliche Geschlecht, einzusetzen analog zum US-amerikanischen „fuck“ bei jeder noch so fragwürdigen Gelegenheit. Dazwischen macht er Komplimente über die Attraktivität meiner Frau, die mitunter einen leicht gequälten Gesichtsausdruck zur Schau trägt. Schließlich kommen wir aber doch noch zum eigentlichen Anlass unserer Visite: die Höhle, die, nächster didaktischer Exkurs, skandalöser- und unverständlicherweise nicht wie fünf andere asturische Höhlen den Welterbestatus erhalten hat (es gibt auch Welterbe-Höhlen in Kantabrien und im Baskenland, das interessiert an dieser Stelle aber selbstverständlich nicht im Geringsten). Die Empörung ist indes nachvollziehbar: Nicht nur ist die steinzeitliche Kamee-Technik, bei der man die gesamte Malfläche schwarz grundierte und anschließend die Umrisse durch Abkratzen der Farbe herausarbeitete, nur hier und ein weiteres Mal in einer französischen Höhle zu finden; auch die Qualität der Darstellung ist bemerkenswert und der Erhaltungszustand ausgezeichnet – ganz im Gegensatz etwa zur Welterbe-Cueva de Candamo, die nach Jahrzehnten als Versteck im Spanischen Bürgerkrieg und darauffolgender Verwahrlosung aufgrund neuzeitlicher Kritzeleien und Schimmelbefall großteils nur noch als Replik etwas erkennen lässt.

Das asturische Prinzip
Dieses zarte Vögelchen ist stolze 18.000 Jahre alt. (Aus der Cueva del Buxu, fotografiert im Museo de Arqueología in Oviedo)

Dieses zarte Vögelchen ist stolze 18.000 Jahre alt. (Aus der Cueva del Buxu, fotografiert im Museo de Arqueología in Oviedo)

Wieder im Freien, wobei sich unsere Brillengläser kurz beschlagen, geht die ausgedehnte Führung rasch ihrem Ende entgegen – Miguels Handy läutet und die Mama ruft zu Tisch. Wenn auch wohl nicht alles für bare Münze zu nehmen war und die Präsentation das Gegenteil der feinen englischen Art: Wir sind mehr als zufrieden – noch dazu für 3 Euro Eintritt pro Person (Vollzahler, ermäßigt 1,50).

Auch für uns wird es Zeit für ein Menú del Día: zwei Gänge (mit Tunfisch gefüllte Zwiebel, geschmortes Huhn, Paella, gegrillte Pfahlmuscheln, Tunfischsteak …), dazu Brot, Wein und Wasser und ein Dessert oder Kaffee um 10, 11 Euro sind problemlos zu bekommen und meist einfach köstlich. Danach haben wir die Qual der Wahl: Asturien verfügt über rund 350 Strände, da ist ein Dutzend immer ein unmittelbarer Reichweite. Schön sind sie alle, spektakulär etliche, vielbesucht die allerwenigsten.

Auch für die Strände gilt das asturische Prinzip: Es ist nicht immer ganz einfach, hinzugelangen. Doch schafft man es, fällt die Belohnung überreichlich aus.

Autor: Helmuth Santler

04. Sep 2015 um 18:02

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