Textmaker Helmuth Santler

Der Textmaker – und die Botschaft kommt an

»Ich habe meine Frau ernst genommen«

ernst_genommen»Wenn Sie darauf weiter bestehen, werden unsere Probleme weiterbestehen.«
»Da haben Sie einerseits recht: Wir sollten wirklich so nicht weitermachen. Wir waren so voller Hoffnung …«
»Worauf? Dass die Masse zu einer Art Spracherleuchtung gelangt und ihr der Unterschied zwischen bewusst machen und bewusstmachen verständlich wird? Im Zeitalter der Vier-Wort-Sätze, galoppierenden Artikelschwunds und Buchbeschreibungen auf der Grundlage eineinhalbseitiger Textauszüge?«
»Nun ja, vielleicht waren wir zu optimistisch …«
»Realitätsfern, das ist es, was Sie waren. Zuerst. Aber ich mag Idealismus, also sagen wir, es hätte klappen können. Bis Sie alles verschlimmbesserten: zu feige für Entscheidungen. Deshalb kennt sich keiner mehr aus. Ein gutgeschriebener Text? Wem wird er denn gutgeschrieben? Gut gehende Geschäfte? Wohin gehen sie denn, die Geschäfte? Um das gut zu machen, haben Sie noch einiges gutzumachen.«
»Was schlagen Sie vor?«
»Schauen Sie: Ich kann gut schreiben und ich kann jemandem etwas gutschreiben. Ich kann mit einer Sache weitermachen oder meine Hose weiter machen. Das muss so bleiben, verfehlte Hoffnung hin oder her. Aber ein Text kann niemals gutgeschrieben werden, also machen Sie aus gut geschrieben keine Empfehlung, sondern die einzig gültige Schreibform. Anderes Beispiel: Ich kann die Gazpacho kalt stellen oder kaltstellen, den Gegenspieler kann ich jedoch nur kaltstellen. Was zwar auch passiert, wenn Sie ihn z. B. bei minus 18 Grad kalt stellen, in welchem Fall kalt stellen und kaltstellen eins wäre, aber das war wohl kaum der Grund für das Erlauben alternativer Schreibweisen. Wie, stellen Sie sich vor, soll die Rechtschreibreform jemals ernstgenommen werden, wenn sie sich vor Tausenden/tausenden Entscheidungen drückt?«
»Verzeihung, man schreibt ernst genommen …«
»Lachen Sie beim Sex?«
»Wie bitte?«
»Sie verstehen mich schon. Wohl eher nicht, vermute ich. Ich zumindest habe erst gestern meine Frau sehr ernst genommen.«
»Also das geht jetzt wirklich zu weit! Das ist spitzfindig, vulgär und frauenverachtend / Frauen verachtend …«
»Meinen Sie? Sie nehmen Ihre Frau also nicht ernst? Selbst wenn sie das möchte?« – »Wovon reden wir jetzt eigentlich? Ich gestehe, ich bin etwas verwirrt.«
»Dann haben wir mit diesem Gespräch ja zumindest eine Gemeinsamkeit zustande / zu Stande gebracht. Willkommen im Klub/Club!«

Helmuth Santler, Wien

Zur Erklärung: Der Arbeitskreis Lesen und Rechtschreiben heute setzt sich für die Wiedereinführung einer einheitlichen Orthografie ein. Anlässlich des 20-Jahre-Jubiläums der (ersten) Rechtschreibreform hat er einen Schreibwettbewerb veranstaltet, bei dem es mein Beitrag auf die Longlist geschafft hat. Derzeit online auf http://www.rechtschreibreform.de/longlist/, demnächst erscheinen diese Texte als Büchlein: «Zwanzig Jahre Rechtschreibreform. Eine Anthologie».

Autor: Helmuth Santler

13. Okt 2016 um 14:36

Einen Kommentar schreiben: