Textmaker Helmuth Santler

Der Textmaker – und die Botschaft kommt an

Offener Brief an die (Leading Ladys der) Grünen

Packt es an!

Als jahrelanger Unterstützer grüner Anliegen habe ich mit großem Bedauern und wachsender Distanz den Wandel der ersten politischen Alternative in diesem Land zu einer Art „Wellness-Partei“ ohne Ecken und Kanten verfolgt. Mit dem Wechsel an der Parteispitze und der ersten öffentlichen Äußerung von Frau Lunacek, dem Bekenntnis zu einem Vereinten Europa der Regionen, ist nach langer Zeit etwas gesagt worden, das mich den Grünen wieder näher gebracht hat. Seither ist indes nichts weiter geschehen, was dem wiederbelebten grünen Keimling Nahrung verschafft hätte.

Nachfolgend einige der drängendsten Problembereiche, in denen ich mir (erheblich) mehr grünen Einsatz wünschen würde (ohne Reihung oder Anspruch auf Vollständigkeit):

Szeder László – Mochovce, CC BY-SA 3.0, id=5589704

Mochovce – Die angestrebte Inbetriebnahme der Reaktoren 3 und 4 des slowakischen Atomkraftwerks gilt es mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zu verhindern. Österreich hat als AKW-freies Land per Volksentscheid die Pflicht, sich gegen den immer noch betriebenen Atomlobbyismus zu wenden, die Geldflüsse im Rahmen von Euratom zu unterbinden, unermüdlich auf die unzähligen ungelösten Probleme im Zusammenhang mit AKWs hinzuweisen, auf Alternativen zur Energiegewinnung hinzuarbeiten. Mochovce ist ein Symbol – unter dessen ganz konkretem Schatten insbesondere der Osten Österreichs zu leben gezwungen ist. Aber dieses Symbol bietet auch die Chance, wirkmächtig gegen den fortgesetzten Wahnsinn Atomkraft anzugehen. In diesem Zusammenhang sollte das grüne Augenmerk sehr genau auf die Folgen der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl gerichtet werden, die viel zu wenig öffentliche Beachtung bekommen. Wildschweine als Sondermüll, steigende Krebsraten, Grauer Star, geschwächte Immunsysteme – das Arsenal für eure PR-Abteilung ist bestens gefüllt. Macht was draus – aber so, dass man es auch merkt. Ein Eintrag auf der Website unter dem Stichwort „Atomausstieg“ (neben einem vielsagenden Bild von „Bundessprecherin und Klubobfrau Eva Glawischnig“, 14. 6. 2017) ist zu wenig.

Wohnen/Klimawandel – Angeblich stehen in Wien genug Häuser bzw. Wohnungen leer, um die gesamte Bevölkerung von Graz unterzubringen. Sicher ist jedenfalls, dass es enorme Leerstände gibt und diese in der Hauptsache auf mangelnde Regulative zurückzuführen sind, die verhindern, dass mit dem Menschenrecht auf Unterkunft spekuliert und profitiert wird. Prestigeprojekte im sozialen Wohnbau sind eine schöne Sache, ökonomisch, ökologisch, sozial und energietechnisch weitaus effizienter wäre allerdings die optimale Nutzung von Bestehendem.

Bauen/Klimawandel – Statt sich um die Höhe von kapitalistischen Bauprojekten zu zanken, wäre es höchste Zeit, eine ökologische Bauordnung einzuführen. Extensive Dachbegrünungen müssen zur Mindestanforderung werden, intensivere Dachnutzungen in dieser Hinsicht nach Kräften gefördert und unterstützt, ebenso wie Fassadenbegrünungen, Urban Gardening und dergleichen. Statt Auto- sollten Fahrradabstellplätze in der Bauordnung festgeschrieben werden. Dezentrale Energiegewinnungssysteme bis hin zur Gebäudeautarkie sind längst machbar – warum macht man es dann nicht? Last but not least ist eine weitere deutliche Ökologisierung des Förderwesens möglich und nötig, indem man die Verwendung von nachhaltigen Baustoffen vermehrt unterstützt.

Gesundheit – Österreich zählt mittlerweile zu den letzten westlichen Industrienationen, in denen der medizinische Einsatz von natürlichem Cannabis nicht gestattet ist. Dies ist umso bedauerlicher und absurder, wenn man sich vor Augen führt, dass wir 1998 mit der Freigabe von Dronabinol noch zu den Vorreitern in Sachen Cannabismedizin gehörten. Heute stellt der Umstand, dass eine aus Cannabis halbsynthetisch hergestellte Monosubstanz verschreibungsfähig ist, die mehrheitlich als wirksamer und besser verträglich angesehene Pflanze selbst hingegen nach wie vor als illegales „Suchtmittel“ gilt, jedoch einen Anachronismus dar; nicht mehr zeitgemäßen Unsinn, wie sowohl eure Senioren als euch eure Jugend schon längst erkannt haben. Ein Unsinn, der allerdings für viele Schwer- und Schwerstkranke sehr konkrete negative Folgen nach sich zieht – und damit einem weiteren Menschenrecht zuwiderläuft, dem auf die bestmögliche medizinische Versorgung.

Öffentlicher Verkehr, Gemeinwohlökonomie, arbeitsloses Grundeinkommen, Transaktionssteuer, Energiegewinnung, Gendergerechtigkeit und andere sozialpolitische Agenden … die Themen von eminenter Bedeutung, für die sich die Grünen (vermehrt) starkmachen könnten und meiner Meinung nach sollten sind Legion.

Im Lichte der neuen Anbiederung von Rot-Blau bietet sich den Grünen eine einmalige Chance: sich als glaubwürdige politische Kraft deutlich links von der Mitte zu profilieren, als einzige ernstzunehmende Stimme gegen den Rechtspopulismus. Das braucht Mut, Tatkraft und Entschlossenheit, das braucht die Bereitschaft, sich für eine übergeordnete Vision über den eigenen politischen Tellerrand zu erheben und nach bestem Wissen und Gewissen das Richtige anzustreben, ohne sich durch Amts- und Postenverbundenheit und Wiederwahlchance-Analysen in seinem oder ihrem Gestaltungswillen einschränken zu lassen.

Mögen die Uhren in Österreich auch anders laufen: Ich bin mehr als zuversichtlich, dass endlich auch hierzulande die Zeit reif ist für eine markante, linke politische Alternative. Reif für Grüne, die sich ihrer linken Wurzeln besinnen. Ihr seid, wie weichgespült ihr euch auch immer gebt, in weiten Teilen der heimischen Politlandschaft der Gottseibeiuns. Anstatt sich dieses Rufes zu erwehren würde ich mir eine Partei wünschen, die sagt: Ja, wir sind unbequem. Wenn alle anderen zusammenrücken und zum politischen Einheitsbrei verschmelzen, bleibt es an uns hängen, auf die zahlreichen Missstände hinzuweisen und eine andere, gerechtere, nachhaltigere Perspektive einzunehmen und aufzuzeigen.

Bitte, liebe (aber nicht zu liebe) Grüne: Gebt mir die Chance, euch aus Überzeugung und mit Begeisterung wiederzuwählen anstatt als geringstes Übel (oder gar nicht). Es geht schließlich um sehr viel: um uns und damit in meinem Verständnis um alles.

Mit konfrontationsbereiten Grüßen

Helmuth Santler

Autor: Helmuth Santler

16. Jun 2017 um 12:17

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