Böse Schweden, demütige Finnen
Es beginnt mit einem Streit: Roni Arias, Nachwuchs-Rennfahrer, stürzt sich blind vor Zorn auf seine Freundin und würgt sie. Als sie kein Lebenszeichen mehr zeigt, flüchtet er in Panik. Wenig später erfährt er: Julia ist tot.
Beim Versuch, den Mord zu vertuschen, hilft ihm sein Vater Tero, ein ehemaliger Polizist. Auf ihrer immer rasender und verzweifelter werdenden Flucht kommen sie einem der bestgehüteten Geheimnisse Schwedens und Finnlands auf die Spur: den Hintergründen um den Untergang des Fährschiffs Estonia, bei dem in den 1990er-Jahren mehr als 850 Menschen ums Leben kamen. Julia, deren Großeltern zu den Ertrunkenen zählten, hatte in dieser Richtung immer wieder nachgebohrt; dabei war sie offensichtlich auf etwas höchst Gefährliches gestoßen. War Roni am Ende gar kein Mörder, sondern Julia ein Opfer ihrer Neugier geworden? Doch welches Verschwörungsszenario konnte, mehr als 15 Jahre nach dem Schiffsunglück, so aktuell sein, um die Beseitigung einer unliebsamen Zeugin zu rechtfertigen?
Ilkka Remes hat es wieder getan: Wie bei seinem für mich nach wie vor besten Buch, Das Erbe des Bösen, nimmt er eine ebenso geheimnisumwitterte wie historisch verbürgte Tatsache – die, gelinde gesagt, Ungereimtheiten um das Unglück der Estonia, im Anhang sogar mit diversen Dokumenten belegt –, spinnt die darin sich abzeichnenden Staatsverbrechen – Schmuggel von russischer Waffentechnik nach Schweden – weiter und reichert das Ganze mit Sympathieträgern und Charakteren zum Mitfiebern an. Heraus kommt ein Spannungsroman erster Güte, bei dem man so nebenbei vieles über das Estonia-Ereignis und über wenig bekannte, ausgesprochen dunkle Seiten der Schweden erfährt: Das nordische Herrenvolk ist einer der weltweit wichtigsten Produzenten von Hitech-Kriegsgerät.
Man spürt richtiggehend, wie Remes, Erbe einer gedemütigten finnischen Knechtseele, es genießt, den arroganten Schweden ans Bein zu pinkeln. Klar bekommen auch die Finnen ihr Fett weg, schließlich machen sie bei der Scharade eifrig mit, aber die treibende Kraft ist eindeutig der Russland-paranoide große Nachbar. Alles in allem ein bemerkenswertes Buch: Info, Thrill und Amusement vom Feinsten.
Ilkka Remes: Tödlicher Sog. dtv, München 2010. Tb., 458 S.