Textmaker Helmuth Santler

Der Textmaker – und die Botschaft kommt an

Der größte Hobbit aller Zeiten

tolkien_hobbitMitte Dezember 2012 wird es soweit sein: Teil 1 der lange erwarteten Verfilmung von J.R.R. Tolkiens Der Hobbit kommt in die Kinos. Die ideale Gelegenheit, sich mit dem Klassiker erneut und tiefgehend auseinanderzusetzen, bietet Das große Hobbit-Buch (The Annotated Hobbit) des Tolkien-Forschers Douglas Anderson, das im Mai 2012 auf Deutsch erschienen ist.
Das bibliophil aufgemachte Werk enthält

  • den Text des Hobbit in der Neuübersetzung von Wolfgang Krege (Der Hobbit oder Hin und zurück),
  • den Text Die Fahrt zum Erebor in der bisher ausführlichsten verfügbaren Fassung
  • eine Erklärung für Gandalfs Beweggründe für den anfangs so irrwitzig anmutenden Plan und warum seine Wahl ausgerechnet auf einen Hobbit bzw. auf Bilbo Beutlin fiel
  • eine textgeschichtliche Einleitung
  • einen Anhang über Runen

61i3wmFn9wL._SL160_Der Haupttext ist reichhaltig kommentiert, er liefert Übersetzungsvergleiche Scherf-Krege, stellt Bezüge zu Tolkien beeinflussenden Texten her, erklärt die Zwergennamen, die allesamt auf dem isländischen Sagenschatz beruhen, und die Etymologie vieler anderer Begriffe, ob aus dem Sindarin-Elbischen, dem Altenglischen oder dem Isländischen stammend. Tolkiens Werk ist letztlich nur in seiner Gesamtheit zu erfassen; es ist die Niederschrift einer zweiten, mythischen Existenzebene, die im Laufe der Jahrzehnte nicht nur wuchs, sondern sich auch veränderte, sich an Stellen in Widersprüchen verhedderte, Dinge offenließ oder nachträgliche Erklärungen lieferte, wie etwa exemplarisch in der Fahrt zum Erebor: Dieser Aufsatz entstand knapp 20 Jahre nach dem Hobbit und bindet die Kindergeschichte in den ganz großen, erwachsenen Plan Gandalfs ein, der sich im Herr der Ringe offenbarte.

Tolkien feilte an all seinen Texten jahrzehntelang

Auch am Text des Hobbit selbst feilte Tolkien noch Jahrzehnte nach dessen Ersterscheinung 1937: Der Herr der Ringe machte da und dort rückwirkende Anpassungen nötig, um den Hobbit nahtloser in das größer gewordene Geschehen einzubinden, aufmerksame Leser wiesen auf kleine und kleinste Ungereimtheiten hin – z.B. der Verwendung des Begriffs „men“ für Hobbits und/oder Zwerge, der doch den Menschen als Ethnie vorbehalten war. Zudem sind hunderte Hobbit-Illustrationen und Coverbilder abgedruckt, überwiegend in Schwarz-Weiß mit Ausnahme eines farbigen Mittelteils. Darunter finden sich etliche Kuriositäten: Der russische Illustrator etwa zeichnete Bilbo mit kurzen Hosen und bis zu den Schenkeln stark behaarten Beinen – in der russischen Umgangssprache wird nicht zwischen Füßen und Beinen unterschieden, und niemand hatte den Mann darauf aufmerksam gemacht, dass die so auffällige Hobbit-Fußbehaarung sich auf den Rist konzentriert.
Das Einzige, das dieser Prachtband nicht zu leisten imstande ist: den Originaltext wiederzugeben. Meine Empfehlung für jeden ernsthaften Fan deshalb: Eine billige 51iQuFKM7AL._SL160_Taschenbuch-Ausgabe des Originals erwerben und Das große Hobbit-Buch dazu, dann ist man auf alle Mittelerde-Eventualitäten bestens vorbereitet.

Apropos nachträgliches Bearbeiten: 51XudEpm8OL._SL160_Als wundersames Kuriosum erschien mir ein mitten im Buch eingelegtes Blatt mit einem Erratum: 17 Zeilen zum Ende des Kapitels XI, „An der Türschwelle“, waren übersehen worden und nicht Teil des Buches. „Aufmerksamen“ Lesern war dies aufgefallen, der Verlag hatte sich tausendfach entschuldigt und das Blatt kostenfrei nachgesendet bzw. den noch nicht ausgelieferten Exemplaren beigelegt; in der nächsten Auflage soll der grobe Satzfehler korrigiert werden … Nun, ich melde Zweifel an. Das Folgekapitel trägt nämlich den Titel „AUS GUTUNTTERICHTETER QUELLE“, und genau so steht es auch in den rechtsseitigen Kopfzeilen noch insgesamt zehnmal. Auch Das große Hobbit-Buch blieb nicht vom Druckfehlerteufelchen restlos verschont (so wurde aus dem Eilend einmal ein Eiland), ist aber spürbar mit großer Liebe und Sorgfalt erstellt worden – und dann in einer versal gesetzten Überschrift zweieinhalb Rechtschreibfehler in einem Wort (Getrenntschreibung laut Dudenempfehlung)? Und der „Unttericht“ teilt sich die Seite auch noch mit einem eingelegten Erratum-Blatt …
Lieber Klett-Cotta-Verlag, ich finde es einfach entzückend, wie hier dem Buch eine eigene Entstehungsgeschichte geschenkt wird; bitte korrigiert die Fehler unbedingt in der nächsten Auflage, damit mein Exemplar zur Kostbarkeit mit dem gewissen Extra wird. Einen Ehrenplatz in meiner Büchersammlung erhält es in jedem Fall.

J.R.R. Tolkien, Douglas A. Anderson: Das große Hobbit-Buch. Hobbit-Presse, Klett-Cotta, Stuttgart 2012. Geb., 418 S., € 30,80 bei amazon kaufen
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Der Hobbit: oder Hin und zurück, Hörbuch, gelesen von Gert Heidenreich, MP3, € 13,99 | CD, € 29,95

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Autor: Helmuth Santler

23. Okt 2012 um 20:26

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