Textmaker Helmuth Santler

Der Textmaker – und die Botschaft kommt an

Die Schöne, das Biest und der Professor

santonge, dolfi und marilynSeriennummer A.H.6 bezeichnet den letzten seiner Art: Das Klonen von Adolf Hitler wurde bereits nach Auslieferung des 12. Exemplars für illegal erklärt, sämtliche Modelle eingezogen – sofern sie nicht zwecks Vollziehung einer sehr späten Rache angeschafft und von ihren Besitzern zum Abschuss freigegeben worden waren.

Wie Tycho Mercier, alleinerziehender Historiker im Paris des Jahres 2060 mit dem Spezialgebiet Zweiter Weltkrieg, an den illegalen Klon gerät, ist fast ebenso skurril wie die Prämisse des Romans. A.H.6, von Tychos Sohn liebevoll Dolfi genannt, sofort wieder loszuwerden scheint die einzige Option – bis der Professor begreift, was mit Klonen geschieht, die aus dem Verkehr gezogen werden. Sein Humanismus obsiegt, zumal Dolfi die Bescheidenheit und Zurückhaltung in Person ist. Hat er doch, wie alle Klone, hundert Prozent des Erbguts und null Prozent der Sozialisierung mit seinem Original gemein. Und sich mehrfach als geschickter Rasenmäher und Heckenschneider erwiesen.

Raubkopie von Marilyn

Nach und nach wird uns das Regelwerk in Sachen Klonen offenbart: DNA-Spender müssen seit mindestens 70 Jahren tot sein, die Humannachbauten gelten juristisch als Objekte, dürfen nicht zeugungs- bzw. empfängnisfähig sein … aber wie es gefälschte Markenware gibt, existiert auch ein Schwarzmarkt für Klone. Auf selbigem hat sich Tychos Nachbar eine Marilyn-Monroe-Raubkopie beschafft, weit günstiger als die zertifizierten Modelle. Auch sie, das (umwerfend attraktive) Urbild des füg- und anschmiegsamen Weibchens mit Putzbegeisterung und bemerkenswerten Kochkenntnissen, landet am Tisch und im Bett des Professors.

Das Idyll ist perfekt, bloß nicht für lange. An welchem Punkt der schmunzelige, aber an der Oberfläche bleibende Roman eine Wende zur operettenhaften Farce nimmt, die statt der bisherigen, na ja, Utopie nun eine Dystopie parodiert und dabei die letzte noch verbleibende Bodenhaftung einbüßt.

Der Roman wirft interessante Fragen auf: Klone sind in allem außer ihrer Entstehung hundertprozentig menschlich – müssten ihnen dann nicht Menschenrechte zustehen? Führte Klonen über die Hintertür zur Wiedereinführung der Sklaverei? Würde Romeo noch über dem toten Körper seiner Julia verzweifeln, wenn er wüsste: Die Dame lässt sich wiederbeschaffen? Antworten sucht man in diesem Nur-Scherz-Text, der zum Ende hin ziemlich abflaut, freilich vergeblich.

François Saintonge: Dolfi und Marilyn. carl’s books, München 2014. Tb., 287 S., € 15,50 (A)
Kindle-Edition

Autor: Helmuth Santler

19. Nov 2014 um 18:18

Einen Kommentar schreiben: