Textmaker Helmuth Santler

Der Textmaker – und die Botschaft kommt an

No Thrill and No Sensation

Also dann, die Thrillersensation aus Norwegen, schon vor dem Erscheinen in Dutzende Sprachen übersetzt, meisterhafte Leser*innen-Manipulation, fantastisches Debüt, Thriller des Jahres … die Pressedame vergaß zwar nicht, sich um eine Relativierung der ungefähr im 102. Stock angesiedelten Erwartungshaltung zu bemühen, aber selbst in einer an sensationsheischendem Marktgeschrei übervollen Welt sind derartige Vorschusslorbeeren schlichtweg nicht zu überhören, und so ließ auch ich mir ein Leseexemplar kommen. Die Sache mit der Erwartungshaltung ist natürlich auch, dass man sie auch aus dem eigenen Kopf nicht mehr wegbekommt. Und vielleicht war das ja der Grund, warum ich es geschafft habe, das Buch tatsächlich zu Ende zu lesen: in der nicht und nicht versiegenden Hoffnung, dass doch endlich so etwas wie Spannung aufkommen möge. Ein Hitchcock blass aussehen lassender Suspensebogen seinen nervenzerfetzenden Klimax finden würde, natürlich in Verbindung mit einem genialen, extrem originellen Twist. Tja. Fehlanzeige. Aber damit das Zu-Ende-Lesen wenigstens nicht völlig unnütz gewesen ist, habe ich mich entschlossen, eine Ausnahme von meiner Regel zu machen, keine Buchverrisse zu schreiben, sondern nur Empfehlenswertes lobend herauszustellen.

Fazit: Nach 320 Seiten psychologisch aufgeblähter Nabelschau, bei der inhaltlicher Fortschritt in Millimetern zu messen ist und der Actiongehalt jede Folge „Lindenstraße“ wie eine Hommage an Bruce Willis’ beste Zeiten erscheinen lässt, nähern wir uns dem Showdown. Und dann ist er auch schon wieder vorbei. Gefolgt vom finalen Twist, der der langweiligen Suppe auch keine nennenswerte Würze mehr verleiht.
Mehr überlange Therapiesitzung als Krimi und vor allem: ein Thriller ohne jede Spannung. Und das geht einfach gar nicht.

Helene Flood, „Die Psychologin“. € 16,50 / 382 S. Penguin Random House, München 2022

Autor: Helmuth Santler

24. Apr 2022 um 14:42

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