Multiple Bedrohung Permafrost
Thermokarste, Treibhausgase und unbekannte Krankheitserreger: Die tauenden Permafrostböden sind eine tickende Zeitbombe. Der tatsachenbasierte Science-Thriller Toxin bietet spannendes, wohlfundiertes Infotainment.
Die wissenschaftsaffine Romanautorin Lange und die schreibaffine Mikrobiologin und Biochemikerin Thiele setzen ihr Erfolgskonzept fort: Waren es in Probe 12 Antibiotika und multiresistente Keime, die den faktischen Hintergrund für die darum herum gewobene Thrillerstory boten, bildet nun die sich anbahnende Klimakatastrophe, genauer gesagt die Folgen der auftauenden Permafrostböden, die Bühne, auf der wir auch bekannten Figuren aus dem ersten Science-Thriller des kongenialen Autorinnengespanns wiederbegegnen: dem Foodblogger Tom Morell und der Wissenschaftsjournalistin Dr. Nina Falkenberg. Zwei Obdachlose in Berlin sterben an Anthrax, dem aus den Briefattentaten in den frühen 2000er-Jahren bekannten Milzbranderreger. Da ein Hochwasser zugleich ein Labor überschwemmt hat, in dem mit eben solchen Bakterien Krebsforschung betrieben wird, gerät dieses ins Visier der Behörden. Die Spur führt nach Alaska, wohin es den Gründer und Leiter des Medizinforschungsunternehmens verschlagen hat. Dort hat der auftauende Permafrostboden Rentierkadaver freigegeben, die just genau diesen Erreger in sich tragen. Und dann überschlagen sich die Ereignisse, Menschen sterben, ein Brand bricht aus und alte Wunden werden wieder aufgerissen. Über allem schwebt ein Damoklesschwert mit Namen Bioterrorismus …
Alle wesentlichen Plotbestandteile beruhen erneut auf Tatsachen, wie man am Ende des Buches aus dem Faktencheck erfährt (inklusive Spoilerwarnung, lesen Sie diesen Teil nicht vorab): am „Umbau“ von bakteriellen Erregern zu Transportmitteln für Therapeutika wird geforscht, v.a. betrifft dies aber die multiple Bedrohung durch den tauenden Permafrost. Die oberflächliche Zerstörung von Infrastruktur (Stichwort Thermokarste) und die Beschleunigung der globalen Erwärmung durch die Freisetzung von gebundenen Treibhausgasen sind das eine, die Viren und Jahrtausende überdauernden (Sporen von) Bakterien das andere. Letzteres steht auch für die Janusköpfigkeit dieses Forschungszweigs: Für die Pharmaforschung sind diese viralen und bakteriellen Urahnen eine Schatzkammer, gleichwohl macht es entwicklungstechnisch wenig Unterschied, ob daraus ein Vehikel zur Heilung entsteht oder eine Biowaffe. Ganz abgesehen vom stets möglichen Ausbruch einer Seuche, der die Menschheit bis zur Entwicklung eines Impfstoffs erst einmal schutzlos ausgeliefert ist. Besonders wenn die bakteriellen Erreger Erbgut miteinander getauscht haben sollten und so vollkommen unbekannte, potenziell gefährliche Mikroorganismen entstanden sind: nach Expertenmeinung das größte aller Risiken.
Kathrin Lange, Susanne Thiele, „Toxin“. € 17,60 / 460 S. Bastei Lübbe, Köln 2023