Textmaker Helmuth Santler

Der Textmaker – und die Botschaft kommt an

Frauenpower auf Isländisch

Es mag spannendere, düsterere, blutigere und actionreichere Island-Krimis geben, man wird jedoch schwerlich einen finden, in dem es isländischer und weiblicher zugeht als beim ersten Auftritt Hildur Rúnasdóttirs, ihres Zeichens Kriminalermittlerin in den Westfjorden. Denn geschrieben hat den Roman eine Finnin, die seit 20 Jahren in Island lebt, und daher eine Außen- und eine Innenperspektive auf diesen höchst eigenwilligen Flecken Erde im Nordatlantik hat. Der Fall selbst hat unmittelbar damit zu tun, dass im Grunde in Island jeder mit jedem irgendwie verwandt ist, was man im Übrigen auf Knopfdruck per Internet-Datenbank in Erfahrung bringen kann.
„Der erste Fall für Islands wagemutigste Ermittlerin“, wie es der Umschlagtext vollmundig verspricht, hebt mit deren Kindheitstrauma an, dem spurlosen Verschwinden ihrer beiden jüngeren Schwestern; ein Ereignis, das Hildurs ganzes weiteres Leben prägen sollte bis hin zu ihrer Freizeitgestaltung: ihr liebstes Hobby ist das Surfen im eisigen Meer. Nur am Rande der Lebensgefahr kann sie ihren Geist zur Ruhe bringen. Überhaupt bevölkern ausschließlich starke Frauengestalten diesen Krimi, und zur Abwechslung sind die Männer mehr schmückendes Beiwerk als wesentliche handlungstreibende Figuren. Wobei das Adjektiv „schmückend“ hier nicht mit „hübsch und niedlich“ gleichzusetzen ist, auch wenn der strickende norwegische Polizeipraktikant Jakob alle Wunschklischees vom sensiblen, in seiner Mitte ruhenden und zugleich kraftvollen und selbstsicheren Mann erfüllt und dabei noch fast so gut aussieht wie sein Pullover Modell „Hildur“ (für das es übrigens ein Handarbeits-Spin-off-Buch zu kaufen gibt). So sind sie aber nicht alle, die Männer, im Gegenteil: Manche sind so richtige Ekelpakete, aber die haut es dann auch ordentlich auf die Schnauze.
Und warum auch nicht? Der Krimi ist eins-a konstruiert, realistisch, gut geschrieben und versorgt mit jeder Menge Lokalkolorit. Dass darin die Frauenpower hochgehalten wird, ist erfrischend und entspricht dem Zeitgeist. Fortsetzung folgt.

Satu Rämö, „Hildur. Die Spur im Fjord“. € 16,50 / 368 S. Heyne, München 2023

Autor: Helmuth Santler

08. Jan 2024 um 22:39

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