Textmaker Helmuth Santler

Der Textmaker – und die Botschaft kommt an

Zu Besuch bei den Elementen

lepage_kerguelenDie TAAF waren das Ziel von Emmanuel Lepage. Ein eleganter Comic macht eine Schiffsreise fühlbar.

„Das Seltsame am Reisen ist, dass man erst nachher begreift – und das auch nicht immer –, was man gesucht hatte.“
Emmanuel Lepage hat eine ungewöhnliche Reise unternommen: zu den TAAF (französische Süd- und Antarktisgebiete), an Bord des Versorgungs- und Forschungsschiffs „Marion Dufresne“. Der titelgebende Kerguelen-Archipel bildet den südlichsten Punkt der einmonatigen Fahrt: ein trostloses, sturmgebeuteltes Land in der Größe Korsikas am eiskalten Ende der Welt. Von dem eine unerklärliche Faszination ausgeht, die Lepage seit seiner Kindheit verspürt.
Der Autor nennt „Zeichnen meine Art, mich durch die Welt zu bewegen“: „Ein unglaublicher Sesam, der alle Hierarchie-, Klassen- oder Altersbarrieren entriegelt.“ Durch seine Hand lernen wir etliche Mitglieder der Schiffscrew, Überwinterer der verschiedenen Forschungsstationen, Seeleute, Helikopterpiloten, Touristen, Wissenschaftler … „kennen“. Lepage ist immer wieder schmerzlich bewusst: Er ist nur auf der Durchreise. Alle Kontakte, alle Landgänge bringen ihn den Menschen, den urzeitlichen Welten gerade nahe genug, um erkennen zu können, wie unerreichbar sie für ihn sind.
In Schwarz-Weiß-Bildern, mitunter nicht mehr als rasche Skizzen, erzählt Lepage den Ablauf der Reise; Rückblenden in seine Kindheit, Historisches (ja, auch in derart entlegenen Regionen wurde Geschichte geschrieben) und lehrreiches oder kurioses Beiwerk (wie die Fliege ohne Flügel oder der Grund, warum in der französischen Marine das Tragen einer schwarzen Krawatte Tradition ist) sind in warmen Brauntönen gehalten. Es bleiben jene Momente, in denen Lepage sich eins mit dem Betrachteten fühlt, die raren Minuten, in denen jede Trennung aufgehoben scheint. Ihnen widmet er vierfarbige Aquarelle. Die gelungensten schaffen, wozu nur Bilder in der Lage sind: Transportmittel zu sein zur Essenz eines Augenblicks.

Im Rhythmus einer Schiffsreise

Lepages elegantes, großformatiges Comic ist nichts für den raschen, beiläufigen Konsum. Der Grundrhythmus ist langsam, es bleibt Zeit für Betrachtung und Innenschau. Gebrochen wird er immer wieder von Szenen hektischer Betriebsamkeit; in vielen davon sind die elementaren Naturgewalten in den „brüllenden Vierzigern“ die Hauptdarsteller, die Menschen geduldete Gäste, die sich gleichwohl keinen Fehler erlauben dürfen.
Nirgends wird deutlicher, dass der Mensch ohne Gemeinschaft nicht existieren kann; nirgends wird deutlicher, in welch existenziellem Maße wir der Erde untertan sind und alles Streben, die Verhältnisse umzukehren, nur eitle Selbstverblendung.
Das letzte Bild zeigt schließlich, was Lepage auf dieser Reise gesucht – und gefunden – zu haben glaubt: Wolken am Nachthimmel formen ein paar aufnehmende Hände. Der Mensch wird angenommen, darf sich geborgen fühlen. In Gemeinschaft – mit Mensch und Natur.

Emmanuel Lepage: Reise zum Kerguelen-Archipel. Splitter, Bielefeld 2012. Hardcover, 162 S., EUR 29,80

Standard-Rezension, 1. 12. 2012, Faksimile

Autor: Helmuth Santler

02. Dez 2012 um 12:44

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